Szenen der Frühe

Das musikalisch-szenisches Projekt lässt gängige Erwartungen an ein Konzert (oder an das Musiktheater) weit hinter sich. Die »Konzerterzählung« nutzt ein post-Genre Programm ebenso wie theatralische, tänzerische und multimediale Mittel, um ein vielschichtiges musikalisches Psychogramm von Robert Schumann zu erzählen.

Eine multimediale Konzerterzählung mit Robert Schumann

Robert Schumann bewegte sich sowohl musikalisch als auch emotional zwischen Extremen: tiefe Abgründe, manische Getriebenheit, jauchzende Freude. Ausgehend von dieser Bipolarität wird in der großen, multimedialen Inszenierung Szenen der Frühe in Koproduktion mit dem Heidelberger Frühling das Leben und Wirken von Robert Schumann nachgezeichnet. Schon bald entfernen wir uns vom Konzertkontext und schauen mit den interdisziplinären Mitteln der Musik, des Tanzes, der Performance und der Animation tief in die Psyche dieses Künstlers, um dort danach zu suchen, was uns heute beschäftigt: Wie gehen wir mit den Dämonen im eigenen Kopf um? Was ist geistige Gesundheit und wie erlangen wir sie?

 

In den »Szenen der Frühe« geht es um die Existenz Robert Schumann, der in Heidelberg seinen 20. Geburtstag feierte und in Heidelberg den Entschluss fasste, Komponist zu werden. Der Titel spielt auf Schumanns spätes Klavierwerk »Gesänge der Frühe« an. Im musikalischen Mittelpunkt stehen denn auch Werke Schumanns: die »Papillons«, das Klavierquintett, die »Gesänge der Frühe« sowie mehrere Lieder, unter anderem »Auf einer Burg«. Kontrastiert wird Schumanns Musik mit Werken von Jürg Frey, Dimitri Schostakowitsch und Donnacha Dennehy .

Die Euphorie, die aus Schumanns Heidelberger Briefen und Tagebuchnotizen spricht, teilt sich noch heute unmittelbar mit. Die Produktion schreitet den Weg von diesen hochgestimmten Anfängen des Komponisten bis zum umnachteten Ende in der Endenicher Nervenheilanstalt ab. Schumanns »bipolare Störung« (dies die plausibelste Diagnose seines Krankheitsbildes) wird zur Grundlage eines szenisch-musikalischen Konzepts, das auf die Irritation aller menschlichen Sicherheiten und eben auch aller Bühnengewissheiten zielt: Was eben noch ein Konzert war, wird mehr und mehr zur szenisch-multimedialen Aktion.

Über Schumanns individuelle Biographie hinaus stellen die »Szenen der Frühe« so die Frage nach einem gelungenen Leben: Was bedeutet es, wenn ein Leben aus den Fugen gerät? Wieviel Sicherheit braucht man zum Glück, wieviel Unsicherheit verträgt das Dasein? Krankheit mag einen Verlust an Autonomie mit sich bringen – aber führt sie auch zu einem Verlust an Würde? »Szenen der Frühe« stellt Fragen, die jedermann angehen.

Und wenn am Ende eines solch komplex gedachten, kompliziert gebauten Stückes, bevor der Applaus aufbrandet, erst einmal lange absolute Stille herrscht, dann spricht das für sich.

Akademie für Musikjournalismus

Nachgefragt

Welche besonderen gestalterischen Mittel wurden eingesetzt und warum? Welches dramaturgische/szenische Konzept wurde verfolgt?

Die "Konzerterzählung" nutzte die Elemente Animation, Tanz/Choreographie und Musik, um ein Psychogramm von Robert Schumann zu erstellen. Alles beginnt als normales Konzert und läuft allmählich aus dem Ruder. Die fortlaufende bipolare Störung und innere Zerissenheit Schumanns wird visuell, musikalisch und szenisch erlebbar. 

Beschreibt den künstlerischen und kreativen Entstehungsprozess.

Die Idee entstand aus einem thematischen Impuls von Michael Gassmann, Leitung des künstlerischen Betriebs beim Heidelberger Frühling. Das Format entwickelte sich in der Folge aus der Zusammenarbeit von Steven Walter (Künstlerischer Leiter PODIUM Esslingen) mit dem Regisseur Daniel Pfluger. Die musikalische Konzeption wurde zuerst gesetzt und darauf das szenische Format entwickelt. Die Animationen entwickelte der Regisseur in enger Zusammenarbeit mit dem Animationskollektiv BärTigerWolf.

Welche Erfahrungen in Bezug auf dieses Projekt könnt Ihr mit anderen teilen? Was war positiv, was war negativ? Was hat funktioniert, was nicht? 

Bei solchen szenischen Konzertprojekten ist entscheidend, das genug Zeit für die außermusikalischen Elemente (Interaktion zwischen Szene bzw. Multimedia und Musik) eingeplant werden. Das hat in der kurzen Zeit nur funktioniert, weil der Regisseur einen sehr genauen und klaren Plan hatte. Als Projektträger ist es wichtig, zwischen den verschiedenen Erwartungshaltungen gut und klar zu kommunizieren.

Welche Parameter haben Euch eingeschränkt, was die größte Herausforderung? Wie seid ihr damit umgegangen?

Die knappe Zeit - auch am Gastspielort - war eine Herausforderung. Das konnte nur durch sehr klare Kommunikation und Vorbereitung gemeistert werden.

Was habt Ihr persönlich aus diesem Projekt gelernt? 

Dass es sich sehr lohnt, solche szenischen Konzerte aus der Musik zu denken, nicht zuerst von der Szene her.

Documentation - SZENEN DER FRÜHE

Credits

Mit: Michael Gassmann (Idee) Ilias Kadesha, Byol Kang (Violinen), Nora Romanoff-Schwarzberg (Viola), Vashti Hunter (Violoncello), Nicholas Rimmer (Klavier), Sebastian Seitz (Bariton), Davidson Jaconello (Tanz)

Projektpartner