"Jetzt rächt es sich, dass Walter Benjamin noch nie einen iPod besessen hat."

Der Regisseur des modernen Regietheaters hat Aktualisierung und Deutung zum Prinzip seiner Inszenierungen erhoben. Der Kurator tritt als Interpret und künstlerischer Forscher im Ausstellungsbereich auf. Doch in der Musik hat eine Normierung und Ritualisierung des Konzertformats eine Weiterentwicklung seit dem 19. Jahrhundert weitgehend verhindert. 

In seinem Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit von 1936 untersuchte Walter Benjamin, wie die damals noch jungen Medien Film und Fotografie das Theater und die bildende Kunst grundlegend verändern würden. Er befürchtete, dass im Zuge ihrer technischen Reproduzierbarkeit die “Aura” der Kunst zerstört werden würde und das Erlebnis (Rezeption) der Kunst damit an Intensität verlieren könnte.

Seither haben sich Theater und Kunst diesen technischen Entwicklungen gestellt und sich erheblich weiterentwickelt. Der Regisseur des modernen Regietheaters hat Aktualisierung und Deutung zum Prinzip seiner Inszenierungen erhoben. Der Kurator tritt als Interpret und künstlerischer Forscher im Ausstellungsbereich auf. Die Musik spielte für Benjamin kaum eine Rolle, da das Grammophon in seiner damaligen Form noch nicht ernsthaft als Reproduktionsquelle angesehen werden konnte. Statt einen ähnlich radikalen Veränderungsprozess zu durchlaufen, verharrt das Konzertwesen noch immer in der Form, die es Ende des 19. Jahrhunderts angenommen hatte. Ein ähnlich radikales Umdenken, wie es die Theaterwelt durch die Einführung des Regietheaters Ende der siebziger Jahre durchlebt hat, wäre notwendig. 

Der Kunstform Theater steht ein viel größeres Arsenal an Möglichkeiten der Aktualisierung zur Verfügung. Im Bereich der Musik könnte das Regiekonzert etwa ähnliches leisten.       

Stefan Arndt

Eine bewusst eingesetzte Konzertdramaturgie, ein kreatives Konzertdesign sowie eine inhaltliche Auseinandersetzung könnte dem Konzertleben wichtige neue Impulse verleihen. So wie der Regisseur literarische Werke in Beziehung setzt, könnte der Musikkurator musikalische Werke in Kontexte stellen, um so Berührungspunkte zur Gegenwart und zur Gesellschaft zu suchen. Dabei kann ein Rahmenprogramm bestehend aus musikalischen Stadtführungen, Probenbesuchen, Künstlergesprächen und Ausstellungsbesuchen genauso selbstverständlich Teil eines Konzertes sein wie die Aufführung des musikalischen Werkes.

Auch von den bereits seit den 1920er Jahren geführten Debatten über das „Zeigen und Repräsentieren von Kunst, Verhältnis von Erkenntnis und Erleben bei der Kunstbetrachtung, über das Zusammenspiel von Werk und Raum, über das Verhältnis von Kunst und Alltag, über „Involvement“, über die Inszenierung von Kunst und Anlass, über Reframing und Sinngeneration (Vgl. Stefan Arndt) lässt sich viel auf den klassischen Konzertbereich übertragen. Die Interdependenz von Institution, Werk, Aufführungskontext und Rezipient ließe sich auch in die konzert-dramaturgischen Überlegungen mit einbeziehen, um das Konzert in „ein ideales, Kunst und Entfaltung atmendes Ambiente“(Stefan Arndt) zu stellen.

 

Autor: Julian Rieken